Weevil News

http://www.curci.de/Inhalt.html

No. 35

4 pp.

20th June 2007

ISSN 1615-3472

Winkelmann, H. & J. Skuhrovec (2007): Beitrag zur Ökologie, Verbreitung und systematischen Stellung von Hypera gracilenta (Capiomont, 1868) in Süd-Portugal (Coleoptera: Curculionidae: Hyperini). - Weevil News: http://www.curci.de/Inhalt.html, No. 35: 4 pp., CURCULIO-Institute: Mönchengladbach. (ISSN 1615-3472).



Beitrag zur Ökologie, Verbreitung und systematischen Stellung von Hypera gracilenta (Capiomont, 1868) in Süd-Portugal (Coleoptera: Curculionidae: Hyperini)

von
H. Winkelmann (Berlin) und J. Skuhrovec (Prag)
Mit 17 Abbildungen und einer Verbreitungskarte


[Winkelmann][Skuhrovec]
Manuscript received: 15th June 2007




Abstract
Contribution to ecology, distribution and systematic position of Hypera gracilenta (Capiomont, 1868) in South Portugal (Coleoptera: Curculionidae: Hyperini).
New observations on biology and ecology of Hypera gracilenta (Capiomont, 1868) in southern Portugal are presented. Two independent findings are reported from an umbellifer (Apiaceae = Umbelliferae) which is not yet identified. Live strategy and development of this rare weevil are described and larva, imago and host plant are shown by photos. In addition the systematic position of Hypera gracilenta as a species of the genus Metadonus is discussed.

Zusammenfassung
Neue Beobachtungen zur Ökologie und Biologie von Hypera gracilenta (Capiomont, 1868) in Südportugal werden dargestellt. Bei zwei unabhängigen Exkursionen zum einzigen Fundort in Portugal konnte die Entwicklung der Larven an einer bisher unbestimmten Entwicklungspflanze aus der Familie der Doldenblütler (Apiaceae = Umbelliferae) beobachtet werden. Damit ist die Entwicklungspflanzenbindung dieser sehr seltenen Art geklärt und wird hier erstmals mit Fotos dokumentiert. Weiterhin wird die systematische Stellung von Hypera gracilenta als Art der Gattung Metadonus diskutiert.


1. Einleitung
Unter den europäischen Hypera-Arten gehört Hypera gracilenta zu den Arten, die nur selten nachgewiesen werden. Daher überrascht es nicht, dass zur Biologie und Verbreitung kaum Angaben existieren. Ein Grund ist vermutlich die Verbreitung dieser Art, deren Schwerpunkt anscheinend in Nordafrika liegt. Hypera gracilenta erreicht im südwestlichen Westeuropa (Iberische Halbinsel) die nördliche Verbreitungsgrenze. Die von Petri [Petri 1901] untersuchten Belege stammen aus Algerien (Algier), und uns war bisher nur ein weiterer Fundort aus Spanien (Sierra Cazorla, 24.6.1975, leg. (?)Daccordi, det. Winkelmann) bekannt [Winkler 1932] [Csiki 1934]. Darüber hinaus kann die Bindung an eine oder wenige Entwicklungspflanzen und eine versteckte Lebensweise (z. B. Nachtaktivität) bzw. eine kurze Erscheinungszeit der Larven und Imagines die scheinbare "Seltenheit" der Art begründen. Es kommt dann in den möglicherweise wenigen und zerstreuten Populationen nur selten zu Zufallsfunden, und nur der Spezialist kann dann durch gezielte Suche an einer Entwicklungspflanze das Vorkommen oder Fehlen einer Art belegen. Im Folgenden wollen wir die neuen Erkenntnisse zur Lebensweise von Hypera gracilenta darstellen und an einem neuen Fundort [Fig. W35.1] [Fig. W35.2] [Fig. W35.3] [Fig. W35.4] die Entwicklungspflanze [Fig. W35.5] [Fig. W35.6] sowie Larve [Fig. W35.7] [Fig. W35.8] [Fig. W35.9], Kokon [Fig. W35.10] [Fig. W35.11] und Imago [Fig. W35.12] [Fig. W35.13] [Fig. W35.14] [Fig. W35.15] mit Fotos dokumentieren.



2. Aktuelle Verbreitung in Südportugal
Den Autoren liegen aus diversen Museumssammlungen und Privataufsammlungen von Kollegen keine jüngeren Funde aus Südportugal vor. Dem Erstautor gelang mit Christoph Bayer 1994 bei einer zweiwöchigen Sammelexkursion im südlichen Portugal nur ein Fund dieser Art. Im südöstlichen Portugal, nahe der spanischen Grenze, konnte am 14.5.1994 in Bodennähe 1 Exemplar von Hypera gracilenta gekeschert werden. Die Vegetation des steilen Hanges war zu diesem Zeitpunkt fast völlig vertrocknet, nur einzelne Pflanzen mit tief reichendem Wurzelsystem waren noch grün.

Die starke Austrocknung hatte hier mehrere Gründe, auffällig waren die Südexposition des Hanges und die grob steinige Bodenstruktur, die keinerlei Wasserbindung gestattete. Das auffällig gefärbte Tier wurde sofort als Besonderheit erkannt. Eine mehrstündige gezielte Suche nach Hypera gracilenta ergab jedoch nur ein weiteres Exemplar.


3. Zur Biologie von Hypera gracilenta
Bei weiteren Sammelreisen nach Südportugal 2004 (Skuhrovec) und 2006 (Winkelmann) wurden keine weiteren Populationen von Hypera gracilenta entdeckt, nur am Fundort bei Azinhal, nördlich Castro Marim (37°16'41" N, 07°27'40"W; 13 m ü. N. N.) [Fig. W35.16], ließ sich die Art erneut nachweisen:


Anfang April 2004 untersuchte J. Skuhrovec den Fundort bei Azinhal. Er fand keine Imagines. Die Suche nach Larven (16 Exemplare) war letztendlich um so erfolgreicher, jedoch waren hierfür mehrere Strategiewechsel erforderlich. Nachdem keine Imagines entdeckt wurden und die Entwicklungspflanze zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt war, wurde in der gesamten krautigen Vegetation nach Larven gesucht. Auch dieser Versuch blieb zunächst erfolglos, bis J. Skuhrovec die Suche auf versteckte Orte der Larvalentwicklung an den Pflanzen konzentrierte, da er wusste, dass sich die Larven einiger Arten der Hyperini in mehr oder weniger "geschlossenen" Strukturen ihrer Entwicklungspflanzen verbergen. Dies trifft z. B. für Limobius borealis (Paykull, 1792) und Hypera nigrirostris (Fabricius, 1775) zu, die sich innerhalb von Blüten (Geranium-Arten) bzw. von Blütenständen (Trifolium-Arten) entwickeln und daher "funktional endophag" leben. Mit dieser Suchmethode wurden dann die ersten Larven von Hypera gracilenta in den noch geschlossenen Blütenständen einer Apiaceae [
Fig. W35.5] [Fig. W35.6] gefunden. Die Larven hatten bereits einen Großteil der Blüten verzehrt, und einige begannen innerhalb des zerstörten Blütenstands gerade mit dem Bau eines weißen, gegitterten Kokons. Die Imagines schlüpften nach ca. einer Woche. Dieses Beispiel zeigt, wie kurz der Zeitraum für eine mögliche Beobachtung der Art ist, denn die frisch geschlüpften Tiere sind nur noch sehr schwer nachweisbar. Nach den bisherigen Untersuchungen kann Hypera gracilenta nur von frühestens Mitte März bis spätestens Ende April nachgewiesen werden. Hypera gracilenta ist als eine weitere Art mit "funktional endophagen" Larven wie die Arten mit "echten" endophagen Larven besser als solche mit gut sichtbaren ektophagen Larven vor Parasiten, Fressfeinden oder ungünstigen Witterungsbedingungen geschützt.

Der Wechsel zur "funktionalen Endophagie" kann innerhalb der Tribus Hyperini auch bei Populationen von Hypera arator (Linné, 1758) beobachtet werden, hängt jedoch bei dieser oligophagen Art von der jeweiligen Entwicklungspflanze und dem Larvenstadium ab und ist nicht festgelegt [Skuhrovec, 2005]. Die Beschreibung der Larven von Hypera gracilenta ist in Vorbereitung.

Eine weitere Exkursion unternahm H. Winkelmann am 17.4.2006. Zu diesem frühen Termin liegen die Höchsttemperaturen in Südportugal noch unter 30 Grad Celsius, es gibt noch gelegentliche Niederschläge, und so war die Vegetation am Standort noch üppig entwickelt [
Fig. W35.1] [Fig. W35.2][Fig. W35.3] [Fig. W35.4] [Fig. W35.5] [Fig. W35.6]. Bei dieser Begehung des Standortes wurden 2 Larven an den Entwicklungspflanzen gefunden, die etwas untypisch dunkelgrün gefärbt waren [Fig. W35.7] [Fig. W35.8] [Fig. W35.9]. Die Larven befanden sich im letzten Larvalstadium und begannen bereits am nächsten Tag mit dem Bau eines weißen, gegitterten Kokons. Da die Larven nicht parasitiert waren, verlief die Entwicklung der Puppen problemlos, und nach rund 8 Tagen verließen die frisch geschlüpften Imagines ihren Kokon [Fig. W35.10] [Fig. W35.11].


4. Zeitliche Entwicklung
Auch bei Hypera gracilenta ist am Standort Azinhal in Südportugal nur von einer Generation pro Jahr auszugehen, da während der Sommermonate dort der überwiegende Teil der krautigen Vegetaton völlig vertrocknet und somit eine Nahrungsgrundlage für weitere Generationen fehlt. Die Imagines beginnen vermutlich schon ab Anfang Mai eine Diapause/Sommerruhe, zu der sie sich in den Boden begeben. Ob diese Ruhephase bis zum kommenden Frühjahr anhält (direkt in eine "Winterruhe" übergeht) oder durch einsetzende Niederschläge im Spätherbst unterbrochen bzw. beendet wird, muss noch untersucht werden. Bei Hypera vidua kann man auch in Mitteleuropa eine Sommerdiapause beobachten. Die Imagines ziehen sich nach Abschluss der Entwicklung (an Geranium sanguineum L.) Anfang Mai in den Boden zurück und erscheinen erst ab August erneut auf den Pflanzen.


5. Systematische Stellung
M. G. Capiomont [Capiomont 1868] beschrieb die Untergattung Metadonus innerhalb der Hyperini. Merkmale dieser Untergattung sind ein drehrunder und schlanker Rüssel sowie eine Einbuchtung auf der Unterseite am Halsschildvorderrand. Petri [Petri 1901] behandelt die Untergattung Metadonus lediglich als "Artengruppe". Die Arten der Gattung/Untergattung Metadonus sind alle in der östlichen Paläarktis verbreitet (16 Arten). Die westpaläarktischen Arten Hypera vuillefroyana und Hypera gracilenta (südliche Iberische Halbinsel und westliches Nordafrika) stehen in enger Beziehung zur (Unter)Gattung Metadonus und werden von einigen Autoren zu dieser Gattung gezählt [Petri 1901][Csiki 1934][Zaslavskij 1959]. Wir hingegen gehen davon aus, dass Hypera vuillefroyana und Hypera gracilenta nach einer Revision der Hyperini nicht der Gattung Metadonus angehören werden. Während Hypera vuillefroyana noch einige äußere Ähnlichkeiten zu den asiatischen Metadonus- Arten zeigt, weicht Hypera gracilenta in Größe und Aussehen erheblich ab und gehört mit Sicherheit nicht in diese Gattung [Fig. W35.12] [Fig. W35.13] [Fig. W35.14] [Fig. W35.15].


Danksagung
Diese Untersuchung wurde vom Tschechischen Landwirtschaftsministerium unterstützt (Mze
ČR) CZ0002700601.


6. Literatur
Capiomont M. G. (1868): Révision de la tribu des Hypérides, Lacordaire, et en particulier des genres Hypera Germ., Limobius Schönh. et Coniatus (Germ.) Schönh. renfermant la description de plusieurs genres nouveaux et de 85 espèces nouvelles. Suite. - Annales de la Société Entomologique de France 4: 73-286.
Csiki E. (1934):
Coleopterorum Catalogus auspiciis et auxilio W. Junk editus a S. Schenkling. Pars 137: Curculionidae: Subfam. Hyperinae. - W. Junk, Berlin, 66 pp.
Petri K. (1901):
Monographie des Coleopteren-Tribus Hyperini. - R. Friedländer & Sohn, Berlin, 210 pp.
Skuhrovec J. (2005):
Živné rostliny nosatců rodu Hypera (Coleoptera: Curculionidae) vyskytujících se na území České republiky (Host plants of weevils of the genus Hypera (Coleoptera: Curculionidae) occurring in the Czech Republic). - Klapalekiana 41: 215-255 (in Czech and English).
Winkler A. (ed.) (1932):
Catalogus Coleopterorum regionis palaearcticae II. - Albert Winkler, XVIII, Dittesgrasse II, Vienna, 1698 pp.
Zaslavskij V. A. (1959):
O nadrodovykh grupnirovkakh v tribe Hyperini (Coleoptera, Curculionidae) (On Supergeneric Groups in Tribe Hyperini (Coleoptera, Curculionidae)). - Entomologicheskoe Obozrenie 38: 652-654 (in Russian, English summary).


Adressen der Autoren:
Herbert Winkelmann
Attendorner Weg 39A
D 13507 Berlin
e-mail:
hyperiniwinkelmann@web.de

Dr. Jiří Skuhrovec
Department of Herbology
Crop Research Institute
Drnovska 507
CZ – 161 06, Praha 6 – Ruzyne
e-mail: jirislav@email.cz